Parkinson-Krankheit: Neurologen ziehen Bilanz

Die Kenntnisse über Entstehung und Diagnose der Parkinsonschen Krankheit sind in den letzten Jahren enorm angewachsen, erklärten Experten auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Aachen. Zwischen 150 000 und 240 000, meist ältere Menschen leiden nach Schätzungen unter der Krankheit, deren wichtigste Merkmale verlangsamte Bewegungen, Zittern und Muskelstarre sind. Gegen diese Beschwerden stehen nicht nur eine Vielzahl von Medikamenten zur Verfügung, sondern neuerdings auch die Methode der Tiefen Hirnstimulation zur Behandlung besonders schwerer Fälle, betonten die in Aachen versammelten Spezialisten.

Ein vom Bundesforschungsministerium mit 17 Millionen Mark gefördertes „Kompetenznetzwerk“ steckt allerdings auch nach zwei Jahren noch in der Startphase. Mehr als die Hälfte der bislang verausgabten Gelder sind alleine für die Planung und Erstellung einer vielfach gesicherten Datenbank für standardisierte wissenschaftliche Untersuchungen verbraucht worden, sagte Projektkoordinator Professor Wolfgang Oertel von der Universität Marburg. Die Abstimmung mit den zuständigen 13 Datenschutzbeauftragten habe 18 Monate gedauert. Im Prinzip könne jetzt aber „jeder Doktor von jedem Internet-Cafe der Welt“ zu dem Projekt beitragen, so Deutschlands bekanntester Parkinson-Experte. Oertel erwartet, dass die Investitionen sich langfristig auszahlen und das Datenbanksystem innerhalb von zwei Jahren EU-weit übernommen wird.

Erklärtes Ziel des „Kompetenznetz Parkinson-Syndrom“ ist es, die Versorgung der Patienten zu verbessern und den Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis zu beschleunigen. Zu den acht Forschungsschwerpunkten gehören Studien zur Früherkennung sowie zur Wirksamkeit neuer Medikamente und Operationsverfahren ebenso wie Kosten-Nutzenrechnungen und der Aufbau von Datenbanken mit Gewebeproben und genetischen Informationen.

Durch Vergleiche zwischen den Erbinformationen Betroffener und gesunder Menschen haben Wissenschafter in aller Welt mittlerweile sieben Gene gefunden, die mit den Parkinson-typischen Krankheitszeichen in Zusammenhang stehen. Eines dieser Gene – es enthält den molekularen Bauplan für das Eiweiß Alpha-Synuklein – könnte vielleicht den Tod spezialisierter Nervenzellen in einem winzigen Teil des Kleinhirns erklären. Diese Zellen, die mit Hilfe des Botenstoffes Dopamin Bewegungssignale übertragen, beginnen bereits viele Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit zu sterben. Bei Gewebeuntersuchungen Verstorbener fanden Pathologen in den Zellen immer wieder Klümpchen aus Alpha-Synuklein. Bei einer Handvoll Familien, die unter einer erblichen Form von Parkinson leiden, sind die fatalen Klümpchen offensichtlich die Folge eines Defekts im Gen für Alpha-Synuklein.

Zwar haben die weitaus meisten Parkinson-Kranken das Leiden nicht geerbt, doch könnten zufällige Mutationen auch bei ihnen eines der bekannten oder unbekannten „Parkinson-Gene“ beschädigt haben. Außerdem halten es viele Wissenschaftler es für wahrscheinlich, dass normales Alpha-Synuklein sich in Gegenwart bestimmter, Drogen, Medikamente oder anderer Umwelteinflüsse in die giftige, klümpchenbildende Variante umwandelt.

Die Suche nach Substanzen, welche die Klümpchenbildung verhindern könnten, ist bereits in vollem Gange. In Verbindung mit einer verbesserten Früherkennung könnte diese Strategie den Ausbruch der Krankheit verzögern oder gar verhindern. Denn noch immer vergehen zwischen fünf und zehn Jahren zwischen dem Beginn des Nervenzerfalls und der Diagnose der Krankheit, berichtete Oertels Mitarbeiter Günter Höglinger. Zu diesem Zeitpunkt sind etwa achtzig Prozent der Dopamin bildenden Nervenzellen im Bereich der so genannten Substantia nigra untergegangen. Ob die viel diskutierten Stammzellen den Verlust ersetzen können, wird man erst in vielen Jahren beurteilen können, räumt einer der prominentesten Verfechter dieser Forschungsrichtung ein, Otmar Wiestler vom Institut für Neuropathologie der Universität Bonn.

Helfen können die Ärzte ihren Patienten derzeit nur mit Arzneien, die den Verlust des Botenstoffes Dopamin vorrübergehend ausgleichen. Zusätzlich verschreibt man oft Psychopharmaka gegen Schlafstörungen, Depressionen und anderer Gemütsschwankungen, die sowohl eine Folge der Krankheit sein können als auch eine Nebenwirkung der Dopamin-Behandlung.

Probleme bereitet die Ersatztherapie auch deshalb, weil ihre Wirksamkeit mit zunehmender Krankheitsdauer nachlässt. Das Zittern wird immer stärker, kontrollierte Bewegungen sind mitunter kaum mehr möglich. Mehr noch fürchten viele das „OFF“, einen Starrezustand, der völlig unberechenbar eintritt und bis zu zwei Stunden anhalten kann.

Die einzige verbleibende Möglichkeit für diese Patienten sind komplizierte Operationen am Denkorgan. Mit millimetergenauen Eingriffen schalteten Neurochirurgen früher die betroffenen Hirnregionen unwiderruflich durch Hitzeeinwirkung aus (Pallidotomie). Heute bevorzugt man das Verfahren der Tiefen Hirnstimulation (auch Tiefhirnstimulation), bei dem in spezialisierten Kliniken eine Elektrode samt programmierbarem Minicomputer implantiert wird. Der lässt sich dann per Knopfdruck vom Patienten aktivieren, um die zappelnden Gliedmaßen binnen Sekunden zu beruhigen. Videoaufnahmen, die den dramatischen Effekt der Tiefen Hirnstimulation dokumentieren, wurden auch in Aachen gezeigt und gehören sicher zu den eindrucksvollsten Belegen für die Fortschritte der Neurologie. Um durchschnittlich 80 bis 90 Prozent ließen sich die Bewegungsstörungen verringern, berichtete beispielsweise Jens Volkmann von der Neurologischen Klinik der Universität Kiel. Der Medikamentenverbrauch sinke nach dem Eingriff im Mittel um 60 Prozent. Etwa jeder zehnte Parkinson-Patient könnte durch die Tiefhirnstimulation von seinem Leiden befreit werden, schätzt Professor Volker Sturm, der solche Operationen an der Kölner Universitätsklinik durchführt.

Wunder können allerdings auch die Neurologen nicht vollbringen: Die Wirkung der Tiefen Hirnstimulation hält zwar über mindestens neun Jahre an, wie die Daten der ersten Patienten belegen. Die Lebensqualität scheint aber nicht im gleichen Maße zuzunehmen, fand die Arbeitsgruppe um Volker Tronnier an der Universität Heidelberg heraus. Die Ärzte beobachteten vermehrte Sprech- und Schluckstörungen und notierten außerdem häufige Depressionen bei gleichzeitiger Abnahme von Initiative und Motivation. Damit werde „ein Teil des Zugewinns aufgewogen“, mussten die Experten in Aachen bekennen.

Quelle:

  • 74. Kongress Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Aachen

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