Schwachstrom schmilzt Fett weg

San Diego. Erstmals ist es Wissenschaftlern gelungen, durch die elektrische Stimulation des Vestibularnervs den Anteil des Körperfetts beim Menschen zu senken. Dabei hätten die Studienteilnehmer weder ihre Ernährung verändert, noch ihre körperlichen Aktivitäten, berichtete der Erstautor der Studie, Jason McKeown vom Center for Brain and Cognition der University of California San Diego auf der Jahrestagung der US-amerikanischen Society for Neuroscience.

Zehn übergewichtige Freiwillige trugen dafür bis zu vier Mal pro Woche eine Stunde lang Kopfhörer-ähnliche Geräte, die so konstruiert waren, dass sie hinter den Ohren durch die Haut den Vestibularnerv reizten. Während sieben Personen jeweils für eine Stunde einen schwachen Wechselstrom von 0,5 Hertz und maximal 2 Milliampere erhielten, bekamen drei weitere lediglich eine Scheinstimulation. Mit dieser Methode der „Galvanisch-Vestibulären Stimulation“ (GVS) verloren die sieben tatsächlich behandelten Freiwilligen im Vergleich zur Kontrollgruppe durchschnittlich etwas mehr als acht Prozent Körperfett. Maximal waren es während der 15-wöchigen Studie sogar 16 Prozent, so McKeown.

Das sogenannte Labyrinth im Innenohr des Menschen hilft nicht nur das Gleichgewicht zu bewahren. Es ist womöglich auch an der Regulation des Körperfettes beteiligt (Zeichnung von Henry Gray aus Anatomy of the Human Body. Via Wikipedia. Public Domain)

Ausgangspunkt des ungewöhnlichen Experiments waren Beobachtungen, wonach Ratten und Mäuse unter dauerhaft erhöhter Schwerkraft ihren Körperfettanteil von etwa 20 auf 5 Prozent reduzieren. Dass die veränderte Körperzusammensetzung keine unspezifische Folge der erhöhten Schwerkraft ist, zeigen ähnliche Beobachtungen bei Mausmutanten, denen das otolitische Organ im Innenohr fehlt, welches Informationen zur Beschleunigung des Körpers an den Vestibularnerv sendet. Der wiederum läuft zum Hirnstamm und hat von dort aus eine Verbindung zum Hypothalamus, einer Hirnregion, die unter anderem die Fettspeicher des Körpers mitreguliert.

McKeown, der diese Studie als Gastwissenschaftler  im Labor von Vilayanur Ramachandran durchgeführt hat, schloss daraus, dass die Veränderung der Körperzusammensetzung durch einen Signalweg unter Beteiligung des Vestibularnervs und des Hypothalamus vermittelt wird.  Sein GVS-Gerät, dem er den Namen „Stimu Slim“ gegeben hat, sollte diese Hypothese testen.

In einer zweiten Studie mit sechs Übergewichtigen schalteten die Forscher ihren Stimulator jeweils eine Stunde vor dem Frühstück an. Noch während der Stimulation änderten sich daraufhin die Mengen der Hormone Insulin (es reguliert die Aufnahme von Zucker in die Zellen) und Leptin (signalisiert Hunger) derart, als ob die Probanden gerade eine Mahlzeit zu sich genommen hätten. Als die Forscher nach einer echten Stimulation und nach einer Scheinstimulation nach dem Hungergefühl fragten, blieb der Hunger unter der GVS gleich, bei einer Scheinbehandlung allerdings wurde er immer größer.

„Schon lange gibt es die Idee, dass der Hypothalamus eine Art Fixpunkt einstellt, der bestimmt, wie viel Fett der Körper speichern soll“, erklärt McKeown. Dieser Mechanismus sollte eigentlich vor Fettleibigkeit schützen, könne aber womöglich durch lange Zeiten im Übergewicht entgleisen. „An diesem Punkt wird es dann zunehmend schwieriger, durch eine Diät das Körperfett dauerhaft zu reduzieren, weil der Fixpunkt nun so eingestellt ist, dass zusätzliches Fett gespeichert wird“, sagt McKeown. Dass man durch die GVS das Körperfett beim Menschen reduzieren könne sei nun erstmals gezeigt worden, sagen die Forscher. „Angesichts der globalen Gesundheitskrise durch die Zunahme von Übergewicht könnte eine weitere Erkundung der Vestibularnerv-Stimulation einen möglichen Weg zur Therapie bieten“, lautete ihre Schlussfolgerung in San Diego.

Wie weitere Recherchen ergaben, ist McKeown mit seinem Kollegen Paul McGeoch schon einen Schritt weiter: Die beiden haben die in Irland ansässige Firma NeuroValens gegründet. Sie soll Stimu Slim ab dem kommenden Jahr produzieren und das Gerät an Übergewichigte wie auch Normalgewichtige verkaufen, die damit ihren Körper mühelos „entfetten“ wollen. Einem Pressebericht zufolge hätte die Markteinführung bereits in 2016 erfolgen sollen, auf der Webseite wurde sie nun für 2017 angekündigt.

Quelle:

McKeown J et al. Modulation of body mass composition using galvanic vestibular stimulation. Abstract 95.07, Society for Neuroscience 46th annual meeting, San Diego, 12. November 2016

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