Wer sich mal die Finger verbrannt hat, weiß die blitzschnelle Reaktion seines Nervensystems zu schätzen. Denkt man nämlich über die eigene Ungeschicklichkeit nach, so wird man zu dem Schluß kommen, daß ein „primitiver“ Reflex uns vor weitaus Schlimmerem bewahrt hat.
Eine tiefgründige Analyse der Wechselwirkungen zwischen heißer Flamme und nackter Haut wäre in dieser Situation offensichtlich fehl am Platze gewesen. Stattdessen schützen uns „Direktschaltungen“ zwischen fühlenden Nervenzellen und den Muskeln des Körpers im Rückenmark. Die höheren Funktionen des Gehirns werden dazu nicht gebraucht.
Nicht einmal jede tausendste Nervenzelle gehört zur Klasse der sogenannten Motoneuronen. Diese Spezialisten sind es, die letztendlich den Muskelfasern den Befehl geben, sich zusammenzuziehen. Einer der einfachsten Schaltkreise wird beim Arzt überprüft: Wenn der Doktor mit dem Hämmerchen die richtige Stelle trifft- die Patellarsehne genau unterhalb der Kniescheibe -, schnellt das Bein nach vorne, selbst wenn der Patient sich noch so fest vornimmt, diese Bewegung zu verhindern.
In den letzten Jahren ist es gelungen, die Vorgänge zwischen Motoneuron und dem Zusammenziehen der Muskelfaser bis in molekulare Details aufzuklären. Ähnlich wie die Kommunikation zwischen zwei Nervenzellen beginnt die Aktion damit, daß das eingehende elektrische Signal einen chemischen Botenstoff freisetzt; in diesem Fall den Neurotransmitter Acetylcholin. Dieser bewirkt, daß der „Muskeltreibstoff“ Kalzium in die Muskelzellen strömt: Die Muskelfilamente verschieben sich gegeneinander, es kommt zur Kontraktion.
(erschienen in „DIE WELT“ am 23. Oktober 1991)