Dass etwas nicht stimmt, bemerken anfangs nur die engsten Angehörigen. Mit einigen unbeholfenen Bewegungen oder einem leichten, halbseitigen Zittern beginnt der Leidensweg der Parkinson-Kranken. Medikamente helfen zwar viele Jahre, die Kontrolle zu behalten. Das Zittern des verstorbenen Papstes Johanes Paul II und die eingefrorenen Gesichtszüge des „größten Boxers aller Zeiten“, Muhammad Ali, aber zeigen, welches Schicksal die über 200 000 Betroffenen in Deutschland erwartet.
Die spektakulärste und wegen ihrer durchwachsenen Erfolgsbilanz umstrittenste Therapie gegen die Krankheit erproben vor allem amerikanische Ärzte seit etlichen Jahren: Mitten ins Hirn werden Zellen transplantiert, um die gestörte Produktion des Botenstoffes Dopamin wiederherzustellen. Nun hat das Berliner Pharma-Unternehmen Schering bekannt gegeben, dass auch deutsche Neurochirurgen seit April eine ähnliche Therapie gegen die Parkinsonkrankheit testen. Der Versuch weist zwei Besonderheiten auf: Es ist das erste Mal, dass Patienten in Deutschland Zellen ins Gehirn eingepflanzt bekommen, sagt die Projektleiterin Elke Reisig. Außerdem stammen die Zellen aus der Netzhaut der Augen verstorbener Organspender.
Bei den über 600 Zellverpflanzungen im Ausland stammte das implantierte Gewebe meist aus abgetriebenen menschlichen Embryonen oder, in einigen wenigen Fällen, von Schweinen. Moderaten Verbesserungen bei der Mehrzahl der Patienten stand dabei eine beträchtliche Zahl von Versuchsteilnehmern mit gravierenden Bewegungsstörungen gegenüber, die teilweise erst nach einer zweiten Operation verschwanden.
Das in Deutschland erprobte Verfahren, das die kalifornische Firma Titan Pharmaceuticals entwickelt hat und Schering zur Marktreife führen will, wurde zunächst in einem kleinen Vorversuch getestet: Bei sechs Patienten hatte die Transplantation die Beweglichkeit um durchschnittlich 40 Prozent erhöht, die Verbesserung hatte über mehr als zwei Jahre angehalten. Darum folgt nun ein größerer Therapieversuch mit 68 Patienten in Europa und den USA, von denen zwölf bereits behandelt worden sind. Die meisten der europäischen Probanden will man an den Universitätskliniken Köln und Heidelberg operieren. Das nur bohnengroße Zielgebiet tief im Mittelhirn steuern die Teams der Neurochirurgen Volker Sturm und Volker Tronnier dabei mit einer Hohlnadel an, deren Pfad anhand detailreicher Bilder von einem Computer errechnet wird. In jeder Hirnhälfte legen die Chirurgen etwa 325 000 Netzhautzellen ab. Allerdings wird mit Einverständnis der Patienten nur jeder zweite von ihnen tatsächlich implantiert. Wen das Los dazu bestimmt, der bekommt eine Scheinoperation: In seinen Schädel wird zwar ein Loch gebohrt, aber dann keine Hohlnadel mehr ins Gehirn geschoben.
Dieses für eine OP-Technik unübliche Verfahren soll sicherstellen, dass man später etwaige Fortschritte auseinander halten kann, die durch die Zellen und durch die intensive Betreuung der Versuchsteilnehmer ausgelöst werden. Die Planer der Studie halten dieses Verfahren für notwendig: Vor einigen Jahren hatten die ersten derart kontrollierten Versuche die Euphorie über die Implantation von Embryo-Zellen gedämpft.
Wird der jetzige Versuch mit den Netzhautzellen zum Erfolg, dürfte das Ergebnis auch die Debatte um die Nutzung von Stammzellen beeinflussen. Seit Jahren nämlich wird die Parkinsonsche Schüttellähmung als Paradebeispiel dafür präsentiert, welche Heilerfolge mit embryonalen Stammzellen möglich sein könnten. Die Gegner der uneingeschränkten Forschung, die in Deutschland in der Mehrheit sind, werden es mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, dass deutsche Forscher maßgeblich beteiligt sind an einem Versuch, das ethisch umstrittene Rohmaterial entbehrlich zu machen.
(Erschienen in der Süddeutschen Zeitung)
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