Stiche ins Gehirn lassen Nerven wachsen

Mit Akupunkturnadeln ist es Forschern der Universität von Süd-Florida gelungen, das Wachstum neuer Nervenzellen im Gehirn erwachsener Mäuse anzuregen. „Die punktgenaue Stimulation bestimmter Hirnregionen führte dazu, dass die Stammzellen der Tiere sich vermehrten, zu wandern begannen und die Selbstheilungskräfte stärkten“, berichtete Shijie Song auf der weltgrößten Versammlung von Hirnforschern, der Jahrestagung der Society for Neuroscience in Chicago.

Akupunktur als eine Art der chinesischen traditionellen Medizin wird seit tausenden Jahren eingesetzt, um Krankheiten zu behandeln und Schmerzen zu lindern, erinnerte Song. „Gegen fortschreitende Nervenkrankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Chorea Huntington hat die Akupunktur jedoch nichts gebracht“, bemerkte der chinesische Neurochirurg, der die Akupunktur selbst gelegentlich bei seinen Patienten anwendet hat.

Ursprünglich wollte Song mit seinen Experimenten fremde Zellen in das Gehirn der Versuchstiere verpflanzen. Dabei hatte er „eher zufällig“ bemerkt dass dort, wohin er mit seinen Führungsnadeln gestochen hatte, nach einiger Zeit neue Nervenzellen zu sprießen begannen. Sein Chef Juan Sanchez-Ramos sei zunächst skeptisch gewesen und habe ihm nicht geglaubt, sagte Song.

Zur Bestätigung entwarf Song dann weitere Experimente, bei denen er mit Akupunkturnadeln gezielt in verschiedene Punkte im Gehirn betäubter Labormäusen stach. Unter dem Mikroskop konnte der Neuroforscher mit seinen Kollegen danach mit einem grünen Leuchtstoff markierte Stammzellen aus dem Knochenmark beobachten, die in das Gehirn zum Ort der Verletzung einwanderten. Aus den Knochenmarks-Stammzellen entstanden offensichtlich neue Nervenzellen, und zwar auch in Hirnregionen, wo dieser Prozess („Neurogenese“) unter natürlichen Umständen nicht statt findet.

„Mit diesem Experiment gewinnen wir neue Einsichten in Vorgänge, die die Geburt neuer Nervenzellen regeln und die zu einer besseren Selbstheilung des Gehirns nach einem Schädeltrauma, Schlaganfall oder neurodegenerativen Erkrankungen führen könnten“, hoffen die Forscher. Bei einem Versuch mit Labormäusen, die als Modelltiere für die Alzheimer-Krankheit herhalten müssen, hätten die Nadelstiche ins Gehirn sogar die Gedächtnisstörungen der Nager lindern können, sagte Song.

In weiteren Studien will er jetzt die Signalwege erkunden, die durch die Nadelstiche angeregt wurden. Außerdem will das Forscherteam heraus finden, wie dauerhaft eingesetzte Nadeln mit und ohne elektrische Reizung die Selbstheilungskräfte des Gehirns anstoßen können.

Quelle:

  • Song, S. et al. Promotion of brain self-repair mechanisms by stereotaxic micro-lesions. Abstract 32.6 des 2009 Neuroscience Meeting Planner. Chicago, IL: Society for Neuroscience, 2009. Online.

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Oregano soll Depressionen verhindern

Vielleicht ist ja doch nicht alles Aberglaube, was aus dem Mittelalter stammt:  Oregano wurde einstmals vermeintlichen Hexen unter die Nase gehalten, um den Teufel zu vertreiben. Zum Schutz vor bösen Mächten legte man es in den Brautschuh und seinen Beinamen „Wohlgemut“ erhielt das Kraut, weil es angeblich Kummer vertreiben und die Menschen fröhlich machen sollte. Viel wissenschaftlicher klingt dagegen, was Mitarbeiter der Schweizer Firma DSM Nutritional Products heraus gefunden haben: „Unsere Daten zeigen, dass Oreganoextrakt ein hirnaktiver moderater Serotonin-Wiederaufnahmehemmer ist mit antidepressiven und angstlösenden Eigenschaften“,  berichteten Hasan Mohajeri und seine Mitarbeiter in Chicago auf dem weltweit größten Treffen von Hirnforschern, der Jahrestagung der Society for Neuroscience. Zurück übersetzt ins Deutsche bedeutet dies: Oregano könnte gegen Depressionen wirksam sein.

Gegen Depressionen ist ein Kraut gewachsen: Organo (Foto: Thomas Then, Wikipedia GNU FDL

Gegen Depressionen scheint ein Kraut zu wachsen: Oregano (Foto: Thomas Then, Wikipedia GNU FDL

Mit einem so genannten Mikrodialyse-Experiment hatte Mohajeri bei Ratten direkt beobachten können, wie der Oreganoextrakt im Gehirn der Tiere die Menge des „Wohlfühl-Botenstoffes“ Serotonin vermehrte. In einem weiteren Tierversuch hätten sich Mäuse nach Aufnahme des Extraktes  weniger depressiv verhalten als Artgenossen, die kein Organo gefressen hatten. Zwar räumt Mohajeri ein, dass Depressionen Mäusen nur schwer anzusehen sind. Der Verhaltenstest sei aber allgemein akzeptiert und werde häufig genutzt um die Stärke von antidepressiven und angstösenden Wirkstoffen zu messen, sagt der Wissenschaftler, der vor dem Wechsel in die Industrie am Zentrum für Medizinische Forschung der Universität Zürich gegen die Alzheimer-Krankheit geforscht hat.

Nach Schätzungen des US-amerikanischen Institut für Geistige Gesundheit (National Institute of Mental Health) leiden jährlich 10 bis 15 Prozent aller Erwachsenen unter Depressionen. Experten der Weltgesundheitsorganisation erwarten, dass die Krankheit häufiger wird und dass im Jahr 2020 ein Viertel der Bevölkerung betroffen sein wird. Zwar gibt es Dutzende wirksame Arzneimittel gegen Depressionen und Angststörungen, „die meisten können aber schwerwiegende Nebenwirkungen haben und bei etwa einem Viertel der Patienten helfen diese Mittel nicht“, sagt Mohajeri.

Bei seinem neuen Arbeitgeber DSM, dem weltweit führender Lieferanten von Vitaminen für die Lebensmittelindustrie, suchte der gebürtige Iraner deshalb nach Natursubstanzen mit antidepressiver Wirkung und insbesondere nach Stoffen, die in der Nahrung vorkommen. Es sei allgemein akzeptiert, dass unsere Nahrung sowohl die körperliche wie auch die geistige Gesundheit beeinflusst, erinnerte Mohajeri. Für besonders empfindliche Menschen die beispielsweise erblich vorbelastet sind oder mit schwierigen Lebensumständen zu kämpfen haben, könne die richtige Ernährung den Unterschied ausmachen zwischen einem befriedigenden Dasein und einem Leben voller Stimmungsschwankungen, versicherte der Industrieforscher: „Wenn der Körper die Nahrung erhält, die er braucht, funktioniert das Gehirn besser.“

Wie auch die meisten geistigen Erkrankungen werden Stimmungsschwankungen durch ein Ungleichgewicht zwischen bestimmten Botenstoffen des Gehirns verursacht. Bei Angststörungen und Depressionen sind die Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin beteiligt. Die Forscher überprüften deshalb eine riesige Sammlung von Pflanzenextrakten – eine Stoffbibliothek – und ermittelten daraus jene Kandidaten, die den Stoffwechsel der drei Neurotransmitter beeinflussten. Dabei zeigte sich, dass ein spezieller Extrakt aus Oregano den Abbau der Botenstoffe im Gehirn verlangsamte. Zwei Inhaltsstoffe des Extraktes waren für dessen biologische Aktivität hauptsächlich verantwortlich: Carvacrol und Thymoquinon, von denen man auch weiß, dass sie als Antibiotika gegen Bakterien wirken.

Zwar ist der Oregano-Extrakt nur ein Tausendstel so stark wie eines der meistgenutzten Antidepressiva, Fluoxetin. Dennoch zeigte es bei Ratten den gewünschten Effekt und ist mittlerweile auch an gesunden Freiwilligen getestet worden, wo es keine Nebenwirkungen gegeben hat. Laut Mohajeri soll der Oreganoextrakt jedoch nicht den etablierten Antidepressiva Konkurrenz machen. Geplant sei vielmehr, es als Nahrungsergänzungsmittel anzubieten oder zusammen mit Vitaminen und Mineralien in Pillenform zu pressen, die dann etwa zur Stresslinderung angepriesen werden sollen oder zur Vorbeugung gegen Depressionen. Bei den menscchlichen Versuchspersonen sei hier eine günstige Wirkung beobachtet worden.

Die ursprünglich im Mittelmeerraum beheimatete Pflanze Oregano ist fester Bestandteil der mediterranen Küche. Als Gewürzmittel wird das Kraut mit dem herben Aroma seit mindestens 300 Jahren geschätzt und ohne die grünen Blättchen wäre heute keine Pizza komplett. Laut Hippokrates, dem berühmtesten Arzt des Altertums, soll Oregano übrigens auch Geburten beschleunigen und Hämorrhoiden heilen. Dies habe man aber noch nicht getestet, erklärte in Chicago Hasan Mohajeri auf unsere Nachfrage.

Quelle:

  • Mohajeri M et al. Monoamine reuptake inhibition and improvement of mood by a specified oregano extract. Abstract 97.6 des 2009 Neuroscience Meeting Planner. Chicago, IL: Society for Neuroscience, 2009. Online.

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Buchbesprechung: Valentin Braitenberg erklärt die Welt

„In diesem Buch will ich versuchen, eine Weltanschauung – meine eigene – in ihrer Gesamtheit darzustellen“, verspricht Valentin Braitenberg im Vorwort seines neuen Werkes: „Das Bild der Welt im Kopf – Eine Naturgeschichte des Geistes„. In der Wikipedia wird Braitenberg als „Hirnforscher, Kybernetiker und Schriftsteller“ vorgestellt, außerdem als ehemaliger Direktor am Max-Planck-Institut für Kybernetik in Tübingen. Weil diese Beschreibung zwar genau ist, aber doch verkürzt, und weil es ziemlich schwierig ist, diesem originellen Kopf gerecht zu werden, möchte ich lieber etwas weiter ausholen und zitiere dazu vom Einband des bereits genannten, 211 Seiten starken Bandes:

Lebt für die Lust am Verstehen: Professor Valentin Braitenberg (Foto: Schattauer Verlag)

Lebt für die Lust am Verstehen: Professor Valentin Braitenberg (Foto: Schattauer Verlag)

„Professor Dr. Dr. h. c. Valentin Braitenberg. In Bozen geboren – im selben Jahr wie die Quantenmechanik, die Königin von England und Fidel Castro. Italienisches humanistisches Gymnasium sowie Ausbildung als Geiger am Konservatorium in Bozen. Im letzten Kriegsjahr in Folge unbedachter Äußerungen Mitglied einer Strafkompanie, die mit dem Ausgraben unexplodierter Bomben in Innsbruck betraut wurde. Dann Bratschist im Tiroler Landesorchester in Innsbruck, Student der Physik, später der Medizin. Promotion und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Rom. Nach Forschungsjahren in Deutschland und in den USA Habilitation in Kybernetik und Informationstheorie… Autor von mehreren Sach- und Fachbüchern. Valentin Braitenberg lebt, mit einer New Yorkerin verheiratet, in Tübingen, Meran und Neapel.“

Zurück zum Vorwort, wo der sympathische Professor (ein Besuch in seinem Labor liegt nunmehr bald 20 Jahre zurück) erklärt, das Buch sei vor allen Dingen dem Wunsch entspungen, „das Gedankengebäude, in dem ich mich behaglich eingerichtet habe, auf seine Geschlossenheit zu überprüfen. Dahinter verbirgt sich keineswegs der Gedanke, dass meine Art, die Welt – und mich in ihr – zu sehen, etwa die bestmögliche oder gar die einzig mögliche sei. Eher schon verstehe ich sie als einen Köder, der mir Leute, die ähnlich denken, zuführen und vielleicht zu Freunden machen könnte. Doch sind mir die anderen, die gute Gründe haben, anders zu denken, genau so lieb.“ Und weiter stichelt Braitenberg: „In der sicheren Erwartung, dass mich die Philosophen nicht zitieren werden, zitiere ich sie auch nicht.“

Auf das Vorwort folgt noch ein Beipackzettel – eine kleine Gebrauchsanweisung, in der Braitenberg seinen Lesern empfiehlt, die Dosis von einem Kapitel pro Tag nicht zu überschreiten. Von der Lektüre nach den Mahlzeiten wird abgeraten. Kapitel 1 könne Widerwillen auslösen und solle dann übersprungen werde, in Kapitel 3 droht Schwindelgefühl, „besonders, wenn man sich nicht genug Zeit für Meditation nimmt“, andere Passagen könnten allergische Reaktionen hervorrufen oder Ermüdungserscheinungen, doch seien Unverträglichkeiten mit anderen Weltanschauungen bisher nicht beobachtet worden.

So weit, so gut. Wir sind gewarnt. Überfliegen noch schnell ein Vorwort des Hirnerklärers und -forschers Manfred Spitzer und stürzen uns hinein in das Lesevergnügen. Die Lust am Verstehen sei der Grund für seine Mühe gewesen, sagt Braitenberg und zieht uns wie versprochen mit erstaunlicher Leichtigkeit hinein in seine Welt. Erklärt ´mal eben, warum Mensch, Tier und Pflanze am Leben hängen und läßt durchblicken, dass diese Erklärung ihm fast schon hinreicht, um auch den Sinn des Lebens zu erklären – oder jedenfalls das, was uns alle antreibt. Im Abschnitt „Verstehen“ geht es um Wissenschaft und ihre Spielregeln, um Menschen, die geistige Kataloge erstellen und solche, die aus Sucht oder aus Faulheit nach Regeln suchen.

„Im Grunde bin ich aber in mein eigenes Denken verliebt“, entschuldigt sich Braitenberg verschmitzt und verweist wie zur Entschuldigung darauf, dass diese Lust am Verstehen, die ihn durchs Leben trägt, keine Sättigung kennt. Außerdem habe diese Lust anderen Lüsten vieles voraus: „Anders als beim Raffen von Geld und Macht oder beim Sammeln von Liebestrophäen nimmt das,was ich gewinne, wenn ich der Lust am Verstehen nachgehe, keinem Menschen etwas weg“. Es folgt eine umwerfende Utopie für die Satzung einer Republik mit zehn Regeln, darunter einer Schulpflicht bis ins Rentenalter. Am besten gefällt mir Paragraph zehn, wonach die Satzung der Republik vom Volk mit 6/7Mehrheit geändert werden kann. „Das Volk in diesem Sinne besteht aus allen Bürgern im Alter zwischen 40 und 50 Jahren, die überdurchschnittliche schulische Leistungen nachweisen können. Ausgenommen sind Geisteskranke, Millionäre, Betreiber von Fernsehanstalten, Designer, Stars im Sport- oder Showgeschäft oder Berufspolitiker.“ Ist diese Utopie ernst gemeint oder nicht? Wie kam der Mann auf diese zehn Regeln?

Zu Schade, dass an diesem Punkt, am Ende des ersten Kapitels, weitgehend Schluss ist mit lustig. Bitte Herr Braitenberg – lassen Sie uns (in ihrem nächsten Buch?) teilhaben an jenen Gedanken, die ihrer utopischen Republik zugrunde lagen. Denn von nun an ging es mit dem Lesevergnügen für mich leider bergab. Der scharfe Intellekt des Autors und seine Gabe, Zusammenhänge aufzuzeigen, blitzt zwar immer wieder auf und auch im zweiten Kapitel – dem Blick nach innen – komme ich nicht umhin, immer wieder zustimmend-anerkennend-überrascht-erfreut zu nicken, und meine Notizen an den Rand zu kritzeln.

Vielleicht liegt es an meinem Beruf als Wissenschaftsjournalist, vielleicht an meiner Spezialisierung auf die Hirnforschung, jedenfalls erschienen mir restlichen Kapitel weitaus weniger spannend und einleuchtend. Zwar sind auch die Meditationen über die physikalische Welt sowie über die Entstehung und Vermehrung von Lebewesen durchaus lesenswert und durchzogenen von originellen Gedanken und Erläuterungen. Spätestens wenn Braitenberg jedoch zu seinem eigentlichen Spezialgebiet kommt, dem Gehirn als Ebenbild der Welt, seinem Gebrauch und dem darin verankerten Sinn für Ästhetik, hätte ich mir etwas mehr Zurückhaltung bei der Erläuterung der Anatomie und Physiologie unseres Denkorgans gewünscht.  In seinem Beipackzettel hatte Braitenberg zwar fairerweise vor Emüdungserscheinungen bei diesen Kapiteln gewarnt. Dennoch erlaube ich mir zu sagen: Weniger wäre hier mehr gewesen.

Hier konnte Braitenberg, der wohl an die vierzig Jahre lang Hirnschnitte durch das Mikroskop angeschaut hat, sich weniger gut in den Leser hinein versetzen. Dem Buch schadet es jedenfalls, dass nach dem furiosen Auftakt peu a peu der Anteil an Erklärungsbedürftigem zu- und die Spannung dadurch abnimmt. Wer wie bei einem Kriminalroman auf den letzten Seiten eine Auflösung erwartet, die den Leser für seine Geduld belohnt, muss sich auf eine Enttäuschung einstellen. Wer sich von dieser  Aussicht nicht abschrecken läßt, wird jedoch auch jenseits des dritten Kapitels noch einigen Rosinen finden, die der Mühe wert sind. Mit dieser kleinen Einschränkung möchte ich mich dem Urteil Manfred Spitzers anschließen: Die cartesianischen Meditationen á la Braitenberg geraten jedem denkenden Menschen zu einem ganz privaten Vergnügen der besonderen Art.

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Warnung vor Stammzelltherapie mit adulten Zellen

Wo verläuft die Grenze zwischen wissenschaftlich fundierten Heilversuchen und dem unseriösen, ja skrupellosen Geschäft mit der Hoffnung? Diese Frage ist im Gesundheitswesen mit seinem kaum durchschaubaren Geflecht an Interessensgruppen oft schwer zu beantworten. Sicher ist aber, dass diejenigen, die laut und meinungsstark für einen besseren Schutz verzweifelter Patienten plädieren, sich auf ein juristisches Minenfeld begeben. Gegendarstellungen, Abmahnungen samt „strafbewehrter Unterlassungserklärung“ und Klage auf Schadensersatz bedeuten dann meistens auch: Es geht um viel Geld.

Rudolf Jaenisch

Politisch engagiert und "sehr besorgt": Rudolf Jaenisch, gewann den Schering-Preis 2009 (Copyright: Jaenisch)

Zwischen 7545 Euro und 26000 Euro verlangt das XCell-Center von Patienten, die sich in Düsseldorf oder Köln Stammzellen aus dem Knochenmark entnehmen und diese nach einigen Tagen wieder in den Körper spritzen lassen. Mehr als 1600 Kranke hätten von diesem Angebot bereits Gebrauch gemacht, meldet das private Institut auf seiner Webseite. Unter den behandelten Krankheiten listet man dort die Amyothrophe Lateralskelerose (ALS), Alzheimer, Arthrose und Diabetes, Erektionsstörungen, die frühkindliche Zerebralparese, Arteriosklerose („Arterienverkal-kung“), die Makuladegeneration als häufigste Ursache der Blindheit, die Multiple Sklerose, die Parkinson-Krankheit, den Schlaganfall und schließlich Verletzungen des Rückenmarks bis hin zur kompletten Querschnittslähmung. Viele dieser Krankheiten gelten als unheilbar, bei manchen kann man auch mit Medikamenten nur wenig ausrichten.

Die gesetzlichen Krankenkassen – per Gesetz verpflichtet, nur das zu zahlen, was „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ ist – erstatten die Kosten der Eingriffe beim XCell-Center nicht. Patienten, die willens und in der Lage sind, die Behandlung aus eigener Tasche zu bezahlen, gibt es dennoch genug. Sie werden im In- und Ausland mit Anzeigen geworben – etwa bei Google, wo von „ersten Erfolgen bei der innovativen Stammzelltherapie in Deutschland“ zu lesen ist. Telefonische Ansprechpartner gibt es nicht nur für Deutschland, Österreich und Schweiz, sondern neben vielen anderen Ländern auch für die USA und Kanada, Australien und Neuseeland, Italien, Frankreich, Großbritannien und die Niederlande, für „russisch sprechende Personen“ und für den Nahen Osten.

„Versprechungen ohne Basis

Seit Januar 2007 läuft das Geschäft, doch nun wollen Neurologen wie Grundlagenforscher dem offenbar nicht länger zusehen. „Diese Versuche entbehren jeglicher wissenschaftlicher Grundlage und ich bin sehr besorgt, dass hier zum Teil Versprechungen gemacht werden, die überhaupt keine Basis haben und die verzweifelte Patienten dazu bringen, 20000 Euro auszugeben“, sagte Rudolf Jaenisch, einer der Pioniere der Stammzellforschung, als er kürzlich in Berlin den Ernst Schering Preis entgegen nahm. Es sei „erstaunlich dass solche so genannten Kliniken so etwas überhaupt anbieten dürfen“, kritisierte der deutschstämmige Wissenschaftler, der 1984 das renommierte Whitehead Institute of Biomedical Research mitbegründet hat und der als Professor am Massachusetts Institute of Technology eine große Forschergruppe leitet. Als hätte man Jaenischs Worte unterstreichen wollen, lobte man den „Vater“ der ersten gentechnisch veränderten Maus bei der Preisvergabe auch noch für seine „besonnene und ethisch-verantwortungsvolle Beteiligung an der politischen Diskussion zur Forschung an menschlichen Stammzellen“.

„Ich dachte, es hilft“

Am gleichen Tag gingen auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Parkinson-Gesellschaft mit einer gemeinsamen Stellungsnahme erneut in die Offensive. „Der Behandlung von Parkinson-Patienten mit so genannten adulten Stammzellen fehlt nach dem aktuellen Kenntnisstand jeglicher Nutzen“, sagte DGN-Vorstandsmitglied Wolfgang Oertel bei einer Pressekonferenz in Nürnberg. Als „Kronzeugin“ präsentierte Oertel die Patientin Petra Aschenbeck, die sich am XCell-Center gegen ihre Parkinson-Krankheit hatte behandeln lassen. „Ich dachte es hilft, aber nach fünf Wochen ging es mir schlechter als zuvor“, so die frühere Standesbeamtin. Ohne Rücksprache mit ihrem Neurologen hatte sie sich zunächst Knochenmark aus dem Hüftknochen entnehmen lassen, die darin enthaltenen Stammzellen seien ihr dann wieder infundiert worden. „Anderen würde ich das nicht empfehlen“, sagte Aschenbeck und will die 7500 Euro nun gerichtlich wieder einklagen, die ihre Eltern für die Behandlung vorab bezahlt hatten. Oertel sind mindestens 15 ähnliche Fälle bekannt, „darunter einige, die gar nicht an Parkinson litten“. Die Krankengeschichten all dieser Patienten sollen nun dokumentiert und in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht werden, kündigte Oertel an.

Auch bei XCell ist man indes nicht untätig. Schon wenige Tage nach den geballten Vorwürfen, ohne wissenschaftliche Grundlage zu arbeiten, erschienen auf der Webseite des Instituts mehrere Auswertungen, die den Erfolg der Behandlungen dokumentieren sollen. So seien bei der „statistischen Nachevaluierung“ von 30 Patienten mit einer Cerebralparese bei fast 70 Prozent der mit adulten Stammzellen behandelten Patienten eine Verbesserung ihrer Symptome festgestellt worden. Und weiter: „Bei 40 % der behandelten Patienten wurde eine Besserung der Sprachfähigkeit beobachtet. Bei 20 % der Fälle wurde ein signifikanter Rückgang oder ein komplettes Fernbleiben epileptischer Anfälle beobachtet.“ Ähnliche Stabdiagramme sollen die Ergebnisse einer Studie mit 19 Patienten mit Multipler Sklerose dokumentieren. Anderswo berichtet man über eine „Studie mit 53 unserer Patienten mit amyotropher lateraler Sklerose“.

Doch die vom XCell-Center gegen die ALS eingesetzten, unveränderten adulten Stammzellen halten die weltweit führenden Forscher auf diesem Gebiet für aussichtslos. So drehte sich zwar bei einem Symposium der Delambre Stiftung im kanadischen Quebec Ende September eine ganze Sitzung um Stammzellen – allerdings nur um solche, die aus Embryonen stammen oder die aus Patienten gewonnenen und anschließend mit Hilfe der Gentechnik „umprogrammierten“ so genannten induzierten, pluripotenten Stammzellen („Ipsen)“. Sie sollen für Tierversuche und für Medikamententests erprobt werden (englischsprachiger Bericht dazu bei Alzforum.org).

Die weltweit erste Sicherheitsstudie, bei der ALS-Patienten im Labor veränderte Stammzellen erhalten sollen, hatte die US-Zulassungsbehörde FDA eine Woche zuvor genehmigt. Nun sollen zunächst 12 von 18 Freiwilligen unter der Leitung von Eva Feldmann an der Emory-Universität in Atlanta behandelt werden, sofern das dortige Ethik-Kommittee den Versuch genehmigt. Dann erst dürfen die Ärzte den Patienten die geplanten fünf bis zehn Injektionen mit aus dem Rückenmark gewonnenen und im Labor veränderten „neuralen Stammzellen“ verabreichen. Die Probanden würden dann in regelmäßigen Abständen nach der Therapie untersucht und die Daten abschließend nach zwei Jahren beurteilt, kündigte der Hersteller der patentierten Zellen, die Firma Neuralstem an.

In den USA braucht die Therapie eine Genehmigung, in Deutschland nicht

Der Genehmigung durch die FDA waren mehrmonatige Prüfungen voran gegangen, bei denen die Zulassungsbehörde von Neuralstem auch Änderungen des Studienprotokolls verlangt hatte, um die Sicherheit des Experiments zu erhöhen. In Deutschland dagegen sind sich die Juristen noch uneins, ob die am XCell-Center angebotenen Therapien mit der jüngsten Änderung des Arzneimittelgesetzes am 23. Juli dieses Jahres genehmigungspflichtig wurden. Falls dem so wäre, könnte man sich in Düsseldorf immer noch auf eine Übergangsregelung berufen. Sie gilt EU-weit bis Ende 2012.

Skeptisch macht, dass die hauseigenen „Studien“ auf der Webseite des Unternehmens allesamt ohne Vergleichsgruppe sind. Ohne aber zu wissen, wie es vergleichbaren Patienten mit einer Scheinbehandlung (Placebo) ergangen wäre,  kann niemand sagen, wie wirksam die Stammzellkur gegenüber herkömmlichen Therapien tatsächlich ist. Die Berichte einzelner Patienten über eine Besserung ihrer Beschwerden könnten angesichts des schwankenden Verlaufs etwa der Multiplen Sklerose oder der Parkinson-Krankheit durchaus auf zufälligen Veränderungen beruhen.

Parkinson-Experte Wolfgang Oertel (Foto: DGN)

Parkinson-Experte Wolfgang Oertel (Foto: DGN)

XCell-Beirat: Keine Publikationen zu Stammzellen

Auffällig ist, dass keiner der XCell-Mitarbeiter sich bislang mit Publikationen über Stammzellen hervor getan hat. Denn wer unter Wissenschaftlern etwas gelten will, dokumentiert seine Leistungen am besten dadurch, dass er seinen Kollegen in anerkannten Fachzeitschriften die Ergebnisse seiner Arbeit zum nachlesen präsentiert. In diesem Fall fördert eine kurze Literatursuche bei Pubmed für den XCell-Kritiker Jaenisch 154 Publikationen über Stammzellen zutage. Dagegen findet sich für die drei laut X-Cell-Center „internationalen Experten“ des eigenen wissenschaftlichen und medizinischen Beirats zu diesem Thema keine einzige Veröffentlichung. Wolfgang Oertel hat über 450 Originalpublikationen vorzuweisen – die meisten davon über die Parkinson-Krankheit – und auch hier geht der XCell-Beirat leer aus.

Womöglich floriert das Unternehmen auch deshalb, weil die dort beworbenen „adulten“, also „erwachsenen“ Stammzellen hierzulande von vielen Politikern als Königsweg aus einem ethischen Dilemma gesehen werden: Als James Thomson an der Universität von Wisconsin 1998 erstmals menschliche embryonale Stammzellen (ES) isoliert hatte,  glaubte die überwiegende Mehrzahl der Experten, das diese ES-Zellen die besten Kandidaten für eine Therapie am Menschen seien (siehe Hintergrund: Stammzellen – Hoffnungsträger mit Risiken). Diese Zellen hatte Thomson jedoch aus wenige Tage alten, „überzähligen“ menschlichen Embryonen gewonnen, die in amerikanischen Kliniken mit einer künstlichen Befruchtung gezeugt und dann nicht mehr benötigt wurden, weil sich der Wunsch der Eltern nach einem Kind bereits erfüllt hatte. Nun gilt Thomson zwar mittlerweile als Kandidat für den Nobelpreis, in Deutschland würde seine Art der „Fremdnutzung“ menschlicher Embryonen jedoch mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft.

Kein Wunder, dass auch viele Forscher jubilierten, als in angesehenen Fachzeitschriften Berichte erschienen, die den Anschein erweckten, dass Stammzellen erwachsener Menschen – etwa aus dem Knochenmark – sich ebenfalls durch Zugabe bestimmter Proteine und Wachstumsfaktoren umformen und fast unbegrenzt vermehren ließen. Das Ethik-Problem schien gelöst, als auch noch erste Erfolgsberichte aus der klinischen Forschung kamen. „Man muss keine Embryonen töten, um kranken Menschen zu helfen“, folgerte etwa der CDU-Vize und frühere Forschungsminister Jürgen Rüttgers aus dem Schicksal eines einzigen Herzinfarktpatienten. Heute ist Rüttgers Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, eben jenes Bundeslandes, wo das XCell-Center seinen Sitz hat. Ende August gab das Ordnungsamt der Landeshauptstadt Düsseldorf dem XCell-Center die Erlaubnis zum Betrieb einer Privatkrankenanstalt nach § 30 der Gewerbeordnung. Seitdem darf man sich auch offiziell „Klinik“ nennen.

Doch die Berichte über die Wandlungsfähigkeit und die Heilkraft der adulten Stammzellen seien „nicht glaubwürdig“ und „überholt“, ärgert sich Jaenisch. „Wenn man sich das genau anschaut, gibt es längst andere Interpretationen, die Daten sind einfach nicht überzeugend“. Adulte Stammzellen seien zwar „unglaublich wichtig“, es müsse aber vor deren Anwendung bei menschlichen Patienten noch sehr viel mehr gelernt werden. „Ich weiß, dass dies auch bei Herzerkrankungen hier in Deutschland in großem Stil gemacht wird – aber ich würde es bei mir nicht machen lassen“, urteilte Jaenisch in Berlin. In Nürnberg schlug Oertel in die gleiche Kerbe und appellierte an den Gesetzgeber, derartigen Behandlungsangeboten einen eindeutigen Riegel vorzuschieben.

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Neue Hinweise auf Alzheimer-Gene entdeckt

Die Pressestelle der Universität Bonn vermeldet, wozu mir die Zeit fehlt. Weil die Alzheimer´sche Krankheit einer meiner Schwerpunkte ist, und die Pressemitteilung leicht verständlich,  finden Sie hier den Bericht:

Ein internationales Forscherteam unter Federführung der Universität Cardiff hat zwei neue Gene entdeckt, die das Alzheimer-Risiko deutlich erhöhen. An der Studie waren auch Wissenschaftler der Universität Bonn beteiligt. Die Forscher hoffen nun besser verstehen zu können, welche Mechanismen zur Entstehung einer Alzheimer-Demenz beitragen.

80 Prozent des Risikos für eine Alzheimer-Erkrankung wird genetischen Einflussfaktoren zugeschrieben. Bisher kennt man allerdings nur eine einzige Erbanlage, die dabei mit Sicherheit eine wichtige Rolle spielt: das vor zwanzig Jahren entdeckte Gen für Apolipoprotein E, dessen Variante ApoE 4 die Erkrankungswahrscheinlichkeit um das zwei- bis vierfache erhöht. Das Gen für ApoE erklärt aber nur einen kleinen Teil der gesamten genetischen Risikos. Es muss also noch mehrere weitere Krankheitsgene geben. Weltweit suchen Forscher daher fieberhaft nach weiteren Erbanlagen – bislang ohne Erfolg: „Zwar gab es viele hoffnungsvolle Kandidaten“, sagt Professor Dr. Markus Nöthen, Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität Bonn. „Bei keinem von ihnen konnte man den Zusammenhang zur Alzheimer-Demenz aber eindeutig nachweisen.“

Jetzt könnten zwei große internationale Forscherteams unabhängig voneinander einen Treffer gelandet haben: Demnach beeinflussen zwei neue Genorte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Risiko für die spät beginnende Alzheimer-Erkrankung. Das berichten die Wissenschaftler in getrennten Publikationen in „Nature Genetics“. Die Gene für Clustrin („Clu“, auch Apolipoprotein J genannt) und für das so genannte CR 1 spielen eine wichtige Rolle im Abtransport von Amyloid-beta. Dieser toxische Eiweißstoff ist der wichtigste Bestandteil jener Ablagerungen, die das Gehirn von Patienten mit der Alzheimer Erkrankung zerstören. Clustrin ist zudem auch selbst Bestandteil dieser Plaques.

An beiden Studien nahmen jeweils mehr als 10000 Personen teil – sowohl Erkrankte als auch Gesunde. „Das sind die größten bisher analysierten Stichproben“, erklärt Nöthens Kollege Professor Dr. Wolfgang Maier. „Derartige Großstudien sind nur in internationalen Konsortien von Klinikern, Humangenetikern und Biometrikern machbar.“ In beiden Studien erfolgte die Suche im gesamten menschlichen Genom. Dass die Untersuchungen völlig unabhängig voneinander durchgeführt wurden, verleiht den Resultaten zusätzliches Gewicht.

An einer der Untersuchungen unter Federführung der Universität Cardiff, England, waren auch deutsche Arbeitsgruppen beteiligt: das vom Bundesforschungsministerium geförderte Kompetenznetz Demenzen (mit den Standorten in Bonn, Erlangen, Essen, Freiburg, Hamburg, Mannheim, München), die Heinz-Nixdorf-Kohorte in Essen sowie die psychiatrische Uniklinik Bonn mit klinischen Patientenstichproben.

Die spät beginnende Alzheimer-Krankheit betrifft heute allein in Deutschland etwa eine Million Menschen. Die Demenzerkrankung führt zur fortschreitenden Pflegebedürftigkeit. Die Anzahl Betroffener wird mit steigender Lebenserwartung in naher Zukunft stark zunehmen. Eine wirkliche Therapie der Alzheimer-Krankheit gibt es bisher nicht, da man die Ursachen nicht genau kennt. Die aktuellen Behandlungsstrategien können den Krankheitsverlauf lediglich verzögern. „Aus den jetzt publizierten Ergebnissen ergeben sich neue potenzielle Anhaltspunkte für kausale Therapien“, betont Professor Maier. „Angesichts der enormen Bedeutung dieser Erkrankung sind derartige Fortschritte extrem wichtig.“

Quellen:

Anmerkung: Die Formulierung, man kenne bisher nur eine einzige Erbanlage, die bei der Alzheimer´schen Erkrankung eine wichtige Rolle spielt, mag angesichts zahlreicher Artikel über den Fund von „Alzheimer-Genen“ verwirren. Der Schlüssel sind hier die Worte „wichtige Rolle“ und man hätte vielleicht noch hinzu fügen sollen „für die gesamte Bevölkerung“. Zwar gibt es Erbanlagen, deren Beschädigung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer frühen Erkrankung führt, doch sind davon nur verhältnismäßig wenige Familien betroffen. Bei der überwiegenden Zahl aller Fälle handelt es sich jedoch nicht um solche „vererbte“, sondern um „spontane“ Erkrankungen, die erst im hohen Alter auftreten. Alleine in den letzten zehn Jahren gab es hunderte von Berichten über mögliche Alzheimer-Gene und monatlich kommen etwa zehn weitere hinzu. Den wohl besten Überblick liefert die (englisch-sprachige) Datenbank AlzGene.

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Der Mensch ist geboren, um im Kreis zu laufen

Es ist immer wieder erstaunlich, was die Leute bei Deutschlands angesehenstem Forschungsverbund so alles entdecken: Menschen, die in unbekannten Gegenden ohne Orientierungshilfen unterwegs sind, laufen häufig im Kreis, melden Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft in der Fachzeitschrift Current Biology – und bestätigen damit ein Klischee, das uns in zahlreichen Krimis und Gruselfilmen begegnet. Näheres erklärt die folgende Pressemitteilung, die das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen heraus gegeben hat:

Mithilfe von GPS-Empfängern untersuchten die Tübinger Wissenschaftler Jan Souman und Marc Ernst die Wege von freiwilligen Versuchspersonen in einer natürlichen Umgebung. Die Sahara in Tunesien und ein Waldgebiet im Rheintal dienten dabei als Versuchsgelände. In beiden Umgebungen gelang es den Probanden nur dann, einen geraden Weg einzuschlagen, wenn sie sich am Sonnenstand orientieren konnten. War die Sonne von Wolken verdeckt, begannen sie, im Kreis zu laufen. „Es ist tatsächlich wie im Film: Einige unserer Versuchsteilnehmer haben mehrmals ihren Pfad gekreuzt, ohne es zu merken. Sobald Bewölkung am Himmel aufzog und die Sonne verdeckte, beschrieben sie mitunter scharfe Kurven und wichen vom geraden Weg ab“, sagt Souman.

Orientierungslos im Wald: Nur bei Sonne fand ein Proband (SM) den Weg. (Bild: Jan Souman, Google Earth)

Orientierungslos im Wald: Nur bei Sonne fand ein Proband (SM) den Weg, die anderen (blau markiert) liefen im Kreis. (Bild: Jan Souman, Google Earth)

Dass orientierungslose Menschen im Kreis laufen, wenn sie die Orientierung verlieren, wurde bislang beispielsweise auf Unterschiede zwischen linker und rechter Hirnhälfte oder auf unterschiedlich lange und kräftige Beine zurückgeführt. So würde ein Mensch mit einem schwächeren linken Bein eher nach links, mit einem schwächeren rechten Bein nach rechts neigen. Die Max-Planck-Forscher konnten diese Erklärung in einem weiteren Experiment jedoch widerlegen: Aufgefordert, auf einem freien Feld mit verdeckten Augen geradeaus zu laufen, wichen die Laufwege der meisten Probanden mehr oder weniger zufällig von der angepeilten geraden Linie ab.

Immer wieder durchliefen die Probanden enge Kreise – manchmal sogar mit weniger als 20 Meter Durchmesser. „Fast jeder der Probanden lief aber manchmal links, manchmal rechts herum. Sie wichen also nicht immer in derselben Richtung vom geraden Weg ab. Fehlerhafte Informationen aus den Sinnesorganen summieren sich auf. Dadurch können die beobachteten Kreisbahnen entstehen“, erklärt Souman. Unterschiedliche Beinlängen oder -stärken hatten in den Experimenten dagegen keinen Einfluss auf die Laufrichtung. Offenbar weiß das Gehirn von diesen Unterschieden und berücksichtigt sie bei der Berechnung des Weges.

Die sich anhäufenden kleinen Fehler in den Sinneseindrücken führen dazu, dass Menschen mit verbundenen Augen es kaum schaffen, mehr als 20 Meter geradeaus zu gehen. Die Wissenschaftler haben in ihren Experimenten festgestellt, dass Menschen sich dann ohne äußere Orientierungshilfen im Durchschnitt nicht weiter als 100 Meter von ihrem Startpunkt entfernen. Die Richtungsinformationen aus den Sinnesorganen sind also ungenau. Souman: „Wir können den Sinneseindrücken aus Augen, Ohren und Gleichgewichtsorganen nicht bedingungslos vertrauen. Vielmehr nutzen wir zusätzliche äußere Orientierungshilfen, wie z.B. Berge, Sonne oder Gebäude, mit denen unsere Wahrnehmung abgeglichen und gegebenenfalls korrigiert wird.“

In weiteren Experimenten wollen die Wissenschaftler nun herausfinden, welche Rolle die verschiedenen Sinneseindrücke und Orientierungshilfen spielen. Künftig werden sie ihre Versuchspersonen dabei allerdings nicht mehr durch Wüsten und Wälder begleiten müssen, sondern können sie ganz bequem im Labor beobachten. Moderne Computertechnik kann nämlich mithilfe einer Datenbrille virtuelle Landschaften vor dem Auge eines Probanden entstehen lassen. Hierfür wurde im Rahmen des von der EU finanzierten so genannten Cyber Walk Projektes ein Laufband entwickelt, das sich in alle Richtungen bewegen kann. So ist es möglich, dass die Probanden virtuelle Umwelten durchwandern, ohne sich vom Platz zu bewegen. Dadurch lässt sich noch gezielter untersuchen, welche Faktoren die Orientierung beeinflussen.

Quelle:

Tipp:

  • Einen ausführlichen Bericht zum Cyber-Walk Projekt finden sie als pdf-Datei hier.
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Verkümmerter Nervenstrang bei Unmusikalischen

Falls Sie zu den Menschen gehören, die den richtigen Ton einfach nicht treffen und deren Gesänge andere erschaudern lassen, so hat die Wissenschaft für Sie zwar noch keine Abhilfe zu bieten, aber zumindest eine mögliche Erklärung parat: Bei unmusikalischen Menschen scheinen bestimmte Nervenfasern im Gehirn verkümmert zu sein, berichten Forscher in der Fachzeitschrift Journal of Neuroscience. Insbesondere ein Bündel namens Fasciculus arcuatus, über das Informationen zwischen wahrnehmungverarbeitenden und bewegungssteuernden Regionen des Denkorgans ausgetauscht werden, ist bei unmusikalischen Menschen dünner und es enthält auch weniger Nervenzellfortsätze als bei jenen knapp 90 Prozent der Bevölkerung, die einigermaßen passabel singen können.

Sprachregionen des Gehirns. Der Fasciculus arcuatus verbindet das grün gezeichnete Wernicke-Areal mit dem blau gezeichneten Broca-Areal. (GNU Free Documentation Licence. Autor: James.mcd.nz)

Sprachregionen des Gehirns. Der Fasciculus arcuatus verbindet das grün gezeichnete Wernicke-Areal mit dem blau gezeichneten Broca-Areal. (GNU Free Documentation Licence. Autor: James.mcd.nz)

Für ihre Untersuchung nutzten die Hirnforscher Dr. Psyche Loui, Dr. David Alsop und Professor Gottfried Schlaug vom Labor für Musik und Neuroimaging der Harvard Medical School eine Variante der Magnetresonanztomographie (MRT), mit der sie die Verbindungen zwischen dem rechten Schläfenlappen und dem Stirnhirn ausmessen konnten, ohne ihre 20 freiwilligen Versuchspersonen zu berühren oder mit Strahlung zu belasten. Auf die „Datenautobahn“ des Fasciculus arcuatus konzentrierten sich die Neurowissenschaftler, weil man bereits weiß, dass hierdurch die Wahrnehmung von Musik und Sprache mit der Steuerung des Stimmapparates verbunden ist.  Es ergab sich, dass das Nervenbündel bei den zehn unmusikalischen Probanden im Durchschnitt eindeutig dünner war und weniger Nervenfortsätze enthielt, als bei den zehn Freiwilligen, die anständig singen konnten. In der rechten Hirnhälfte war der obere Teil des Fasciculus arcuatus bei den unmusikalischen Freiwilligen mit der MRT sogar überhaupt nicht zu finden. Dies kann bedeuten, dass das Nervenbündel entweder vollständig fehlt oder so verkümmert ist, dass es sogar mit diesem fortschrittlichsten aller bildgebenden Verfahren nicht erkennbar ist.

„Diese Anomalie legt nahe, dass ein fehlendes musikalisches Gehör ein bislang unbemerktes neurologisches Syndrom darstellt, ähnlich anderen Sprech- und Sprachstörungen“, sagte Loui. Die gleiche Arbeitsgruppe hatte in früheren Untersuchungen bereits gezeigt, dass unmusikalische Menschen ihren eigenen Gesang nicht bewusst wahrnehmen.

Nach Schätzungen von Experten sind mindestens zehn Prozent der Bevölkerung unmusikalisch, jedoch gilt diese „Anomalie“ bislang nicht als Krankheit. Und warum sollte sie auch? Leiden müssen schließlich nur diejenigen, die sich die Gesänge unmusikalischer Menschen anhören müssen!

Quelle:

  • Loui P, Alsop D, Schlaug G. Tone Deafness: A New Disconnection Syndrome? Journal of Neuroscience, August 19, 2009. 29(33):10215-10220
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Alzheimer-Früherkennung noch nicht reif für die Praxis

Vorbemerkung: Schon lange ärgern sich Neurologen und Hirnforscher über Meldungen in Presse, Funk und Fernsehen wo fast im Wochentakt „Alzheimer-Tests“ angekündigt werden, die sich bei näherer Betrachtung als leere Versprechungen erweisen. Schwerer noch als der Ärger der Spezialisten wiegt indes die Enttäuschung von Patienten und Angehörigen, die sich bei Gedächtnisstörungen aller Art von ihrem Arzt Klarheit erhoffen, ob sie nun „den Alzheimer“ haben, oder nicht. In einer großen Untersuchung mit 1600 Patienten haben Forscher nun nachgemessen, wie aussagekräftig ein viel versprechender Test zur Früherkennung des Leidens wirklich ist. Das Ergebnis und eine Einordnung finden Sie in der folgenden Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie die hier auf Simmformation wegen der Brisanz des Themas im Wortlaut wieder gegeben werden soll:

Früherkennung der Alzheimer-Krankheit braucht einheitliche Standards

Professor Günther Deuschl (Foto: DGN)

Professor Günther Deuschl (Foto: DGN)

Messungen von drei spezifischen Eiweißen im Nervenwasser können den Beginn der Alzheimer-Krankheit mit hoher Zuverlässigkeit aufzeigen, so das Ergebnis einer großen internationalen Untersuchung unter Beteiligung deutscher Neurologen. In der Studie mit fast 1600 freiwilligen älteren Menschen konnten Dank der „Biomarker“ 83 Prozent jener Patienten mit leichten Denkstörungen identifiziert werden, die in den Jahren nach der Messung Alzheimer entwickelten.

Die Veröffentlichung der Studienergebnisse im Fachblatt JAMA bestätigt einerseits zahlreiche Medienberichte über eine theoretisch mögliche „Früherkennung der Alzheimer-Krankheit“, die sich auf kleinere und weniger aussagekräftige Untersuchungen in der Vergangenheit beziehen. Andererseits stieß das Team um Studienkoordinator Niklas Mattson von der schwedischen Göteborg-Universität jedoch auf erhebliche Unterschiede bei den Messwerten und -verfahren zwischen den zwölf an der beteiligten Gedächtniskliniken.

„Deshalb müssen wir klarstellen, dass die Alzheimer-Frühdiagnose nicht zuverlässig möglich ist“, betont Professor Günther Deuschl, Ärztlicher Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Kiel und 2. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Wir sind noch nicht so weit, solch einen Test routinemäßig bei älteren Menschen mit beginnenden Gedächtnisstörungen einzusetzen. Allzu oft würde dadurch ein falscher Alarm ausgelöst und dies ist nicht zu rechtfertigen, solange wir noch keine Arzneien haben, die den Krankheitsverlauf längerfristig beeinflussen können.“

Ebenso wie Studienleiter Niklas Mattson (Universität Göteborg, Schweden) hofft auch Deuschl, dass derartige Arzneien, an denen momentan intensiv geforscht wird, bald zur Verfügung stehen. Auch an einer Impfung gegen die Alzheimer-Krankheit wird bereits seit vielen Jahren gearbeitet. Mit weltweit mehr als 15 Millionen Betroffenen ist dieses Leiden die häufigste Ursache für eine Demenz, einer Gruppe von Krankheiten, die vor allem durch Gedächtnisstörungen gekennzeichnet sind.

Als „leichte kognitive Störung“ (Mild Cognitive Impairement, MCI) bezeichnen Neurologen Minderungen der geistigen Leistungsfähigkeit, die nicht so schwerwiegend sind, dass die Diagnose einer Demenz gestellt werden kann. Aus dieser „Grauzone“ heraus entwickeln sich jährlich etwa 10 bis 15 Prozent der MCI-Patienten zu manifesten Alzheimer-Patienten. Es gibt aber auch Individuen, deren Gedächtnisleistung relativ stabil bleibt oder die eine andere Form der Demenz entwickeln.

Noch ist es nicht mit Sicherheit möglich, das Schicksal einzelner Patienten vorherzusagen. Allerdings bestätigt die neue Studie den Nutzen mehrerer Biomarker, um die Treffsicherheit der Diagnose zu verbessern. Dabei handelt es sich um bestimmte Formen eines Eiweißes namens Tau, das Teil des Zellgerüsts ist, sowie um Beta-Amyloid, ein Eiweißbruchstück, das sich im Gehirn von Alzheimerpatienten ablagert. Klare Hinweise auf eine beginnende Alzheimer-Krankheit liefern demnach erhöhte Werte für Tau und erniedrigte Werte für Beta-Amyloid im Nervenwasser.

Das Nervenwasser gewannen die Ärzte durch eine Punktion des Rückenmarkkanals, einer Routine-Prozedur, bei der eine Hohlnadel zwischen dem 3. und 4. Lendenwirbel eingeführt wird und bei der es erwartungsgemäß unter den fast 1600 Studienteilnehmern zu keinen ernsthaften Nebenwirkungen kam, wie die Wissenschaftler berichten.

83 Prozent der zukünftigen Alzheimer-Patienten konnten mit dieser Methode identifiziert werden; von den nicht Betroffenen wurden 72 Prozent richtig vorhergesagt.  „Die Fortschritte sind eindeutig und schon heute erweisen sich diese Biomarker als nützliche Instrumente für die Forschung und die Entwicklung neuer Arzneien gegen die Alzheimer-Krankheit“, betont Professor Deuschl. „Bevor diese Werkzeuge routinemäßig in der Praxis eingesetzt werden können, müssen sie aber noch weiter verfeinert und standardisiert werden.“

Quellen:

Hi technorati: s64i2a37bt

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Nach Kindestod: Trauerhilfe per Internet

Vorbemerkung: Es folgt eine Pressemitteilung der Universität Münster. Sie wurde ausgewählt zur Wiedergabe auf Simmformation, weil hier eine Methode beschrieben wird, die es mit vergleichsweise geringem Aufwand ermöglichen könnte, Eltern zu helfen, die ihr Kind während der Schwangerschaft oder unmittelbar danach verloren haben.

„Der Verlust eines ungeborenen Kindes ist für die betroffenen Eltern oft ein traumatisches Erlebnis.“ Diese Erfahrung hat Professor Anette Kersting als Ärztin und Psychotherapeutin in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Münster (UKM) bereits häufig gemacht. Aus diesem Grund entwickelte sie ein bundesweit einmaliges Projekt: Eltern, die während oder unmittelbar nach der Schwangerschaft ein Kind verloren haben, bietet Anette Kersting gemeinsam mit den Diplom-Psychologinnen Kristin Kroker und Katja Baus eine Internettherapie, in der sie ihre Trauer verarbeiten können. Vor rund 18 Monaten startete dasOnlineportal Internettherapie nach Verlust eines Kindes in der Schwangerschaft. Mittlerweile liegen im Rahmen der wissenschaftlichen Evaluierung des Projekts erste Ergebnisse vor, die auf eine gute Wirksamkeit der Internettherapie schließen lassen.

Insgesamt 54 Patienten (52 Frauen und zwei Männer) nahmen bisher an der Behandlung teil – mit Erfolg, wie die Untersuchungsergebnisse des Projekts belegen: „Im Anschluss an die Behandlung zeigten die Klienten signifikante Verbesserungen auf allen Symptomebenen. Gemessen auf den Ebenen Trauer, traumatisches Erleben, allgemeine psychische Belastungen, Depressivität, Ängstlichkeit und Somatisierung ging es den Teilnehmern der Therapie signifikant besser als vor der Behandlung,“ freut sich Kersting. Drei Monate nach Abschluss der Behandlung wurden die Teilnehmer erneut befragt – auch zu diesem Zeitpunkt war der Zustand der Betroffenen weiterhin so stabil wie direkt nach der Therapie.

Diese positive Entwicklung würdigt auch das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), das eine Weiterförderung des Projekts in Höhe von 65000 Euro pro Jahr bis 2011 bewilligte. Dank dieser Förderung können betroffene Eltern die Onlinetherapie kostenlos in Anspruch nehmen. Das Team um Anette Kersting hofft nun, noch viele weitere Eltern in ihrem Trauerprozess zu unterstützen und langfristige Daten zur Wirksamkeit ihrer Therapie sammeln zu können. Dabei wünschen sich die Therapeutinnen, dass in Zukunft auch mehr Männer das Angebot nutzen. Denn Männer trauern anders als Frauen, sind vom Verlust eines Kindes aber ebenso betroffen wie Frauen: „Eine Fehl- oder Totgeburt ist für beide Elternteile ein einschneidendes Erlebnis, das psychisch sehr belastend sein kann“, erklärt Kersting den Leidensdruck trauernder Mütter und Väter. Therapeutische Unterstützung nehmen jedoch nur wenige Väter in Anspruch. Eine herkömmliche Psychotherapie ist für viele immer noch mit einem gesellschaftlichen Makel behaftet. Die Internettherapie hingegen bietet den Betroffenen mehr Anonymität und senkt die Hemmschwelle, professionelle Hilfe in dieser schwierigen Zeit in Anspruch zu nehmen. Doch nicht für alle Patienten ist die Internettherapie die geeignete Therapieform: Menschen, die unter Begleiterkrankungen wie Depressionen leiden oder suizidgefährdet sind, verweist das Team an andere Behandlungsangebote.

Helfen per Internet: Professor Kersting (l.) und Kollegen (Foto: ukm)

Helfen per Internet: Professor Kersting (l.) und Kollegen (Foto: ukm)

Obwohl die Kommunikation in der Onlinetherapie ausschließlich schriftlich per E-Mail erfolgt, entwickelt sich eine intensive Beziehung zwischen Patient und Therapeut: „Die Therapie ging vielen Teilnehmern unglaublich nahe und sie waren erstaunt darüber, wie sehr ihnen die Beratung hilft“, berichtet Kersting. Die Behandlung besteht aus zehn strukturierten Schreibaufgaben, die über einen Zeitraum von fünf Wochen durchgeführt werden. Innerhalb eines Werktages erhalten die Patienten eine Rückmeldung auf ihren Essay und Instruktionen für die nächsten Aufgaben. „Dabei gehen wir individuell auf die Situation der Klienten ein“, betont die Therapeutin. Das Behandlungskonzept selbst gliedert sich in drei Module: In der ersten Phase der Selbstkonfrontation beschäftigen sich die Eltern in vier Texten detailliert mit dem Verlust, indem sie eine besondere Situation ausführlich beschreiben. In der zweiten Phase werden die Patienten aufgefordert einen unterstützenden Brief an eine fiktive Freundin zu schreiben, die das gleiche erlebt hat. So sollen die eigenen Gedanken in Frage gestellt und eine neue Perspektive des Verlusts eingenommen werden. Die dritte Behandlungsphase zielt schließlich darauf ab, das soziale Netzwerk zu reaktivieren und in die Situation der Eltern einzubeziehen.

Fragen zum Therapieangebot beantworten die Fachfrauen in Einzelchats im Rahmen einer offenen Sprechstunde, die jeden Dienstag von 10 Uhr bis 11 Uhr stattfindet. Weitere Informationen und Anmeldung zur Therapie gibt es hier. Hilfe zur Bewältigung der Trauer um ein totes Kind versprechen zudem mehrere Bücher. Die folgenden wurden von den weitaus meisten Lesern bei Amazon als einfühlsam und hilfreich bewertet: „Schmetterlingsflüstern – Botschaften einer Kinderseele„, „Meine Trauer wird Dich finden„, „Tief im Herzen und fest an der Hand“ sowie „Ein Engel ist von uns gegangen„.

Kritisches Nachwort: Trotz des löblichen Ansatzes habe ich oben bewusst geschrieben, die Trauertherapie über das Internet könnte wirksam sein. Zwar waren die Psychotherapeuten offensichtlich „erfolgreich“ in dem Sinne, dass es den Trauernden nach der Therapie besser ging als zuvor. Es fehlt allerdings ein Vergleich, ob es den Betroffenen nicht auch ohne diese Therapie besser gegangen wäre – zumindest steht davon nichts in der Pressemitteilung und es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass die Studie in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht und von Kollegen auf ihre Stichhaltigkeit überprüft wurde. Für das Familienministerium und deren Leiterin Ursula von der Leyen ist dies anscheinend nicht so wichtig. Es ist Wahlkampfzeit und deshalb halte ich mich mit Hurra-Schreien zurück, wenn ich lese, dass nun erst einmal 65000 Euro jährlich für eine „Weiterförderung“ des Projekts bewilligt wurden, damit betroffene Eltern diese Online-Therapie kostenlos erhalten. Die Chancen stehen gut, dass sich die Wirksamkeit der Psychotherapie per Internet auch für trauernde Eltern erbringen lässt, (für Schlaflosigkeit ist dies bereits gelungen). Aber erst danach würde ich solch ein Angebot für alle Betroffenen gerne mit meinen Steuern oder Krankenkassenbeiträgen mitfinanzieren. Geld ist ja genug vorhanden, 65000 Euro sind nämlich – wenn ich mich nicht verrechnet habe – gerade einmal 0,000065 Milliarden.

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Koffein hilft Alzheimer-Mäusen

Mit – auf den Menschen umgerechnet – fünf Tassen Kaffee am Tag ist es Forschern der Universität von Süd-Florida gelungen, die Gedächtnisstörungen alter Mäuse zu beheben, die als Modell für die Alzheimer-Erkrankung dienen. In früheren Untersuchungen hatten die Wissenschaftler bereits gezeigt, dass lebenslang verabreichtes Koffein den Gedächtnisstörungen von „Alzheimer-Mäusen“ vorbeugen kann. Angestoßen wurden diese Arbeiten durch mehrere epidemiologische Studien, die einen Zusammenhang zwischen Koffein-Genuss und einem verringerten Alzheimer-Risiko beim Menschen nahe gelegt hatten.

Nun sind die neuesten Erkenntnisse über eine mögliche Schutzwirkung des Kaffee-Inhaltsstoffes in zwei Artikeln der Fachzeitschrift Journal of Alzheimer´s Disease erschienen: Insgesamt hatten die Forscher am Florida Alzheimer’s Disease Research Center (ADRC) 55 Mäuse untersucht, die aufgrund gentechnischer Eingriffe im Alter Gedächtnisprobleme entwickelten, ähnlich denen menschlicher Alzheimer-Patienten. Die nachlassende Gedächtnisleistung bestätigte das Team um Gary Arendash zunächst an den 18 bis 19 Monate alten Versuchsmäusen, was in etwa 70 Menschenjahren entspricht. Dann gaben die Forscher der Hälfte dieser Mäuse Koffein ins Trinkwasser und verglichen sie mit dem Rest der Tiere, die reines Wasser bekamen. Umgerechnet auf Körpergröße und Gewicht des Menschen entsprach die verabreichte Menge an Koffein 500 Milligram (zum Vergleich: Eine Tasse Kaffee (150 ml aus 4 g Kaffeebohnen) enthält etwa 40 bis 120 mg Koffein).

Der Beweis: Koffein beseitigt giftige Ablagerungen im Mäusehirn (Foto: ADRC)

Am Ende der zweimonatigen Versuchszeit waren die Mäuse, die Koffein erhalten hatten, ihren Artgenossen sowohl bei Gedächtnis- als auch bei Denktests eindeutig überlegen und sie schnitten dabei sogar ebenso gut ab wie gleich alte Mäuse, die nicht gentechnisch „auf Alzheimer programmiert“ waren. Als man daraufhin die Gehirne der Versuchstiere verglich, zeigte sich, dass bei den Koffein-Trinkern die Menge an gefährlichen Ablagerungen – dem so genannten Aß (ausgesprochen „A – beta“) – um die Hälfte geringer war, als bei unbehandelten Tieren. Weitere Versuche ergaben, dass mit Koffein versorgte Mäuse geringere Mengen zweier Enzyme bildeten, die an der Produktion von Aß beteiligt sind, und es fanden sich zusätzlich Hinweise darauf, dass das Koffein eine durch Aß verursachte Entzündungsreaktion unterdrückte.

Anders als beim Menschen schien das Koffein übrigens die Gedächtnisleistung gesunder Mäuse nicht zu verbessern. „Unsere neuen Erkenntnisse legen nahe, dass Koffein eine brauchbare Behandlung gegen die Alzheimer-Krankheit sein könnte“, sagte Arendash und betonte, dass diese Substanz für die meisten Menschen eine sichere Arznei darstelle, die leicht ins Gehirn gelangt und den Krankheitsprozess direkt beeinflusst. Lediglich Personen mit hohem Blutdruck oder Schwangere sollten nur wenig Koffein zu sich nehmen, empfahl der Wissenschaftler.

Man hoffe, nun bald auch klinische Studien mit Freiwilligen zu starten, sagte der Direktor des ADRC, Huntington Potter.“Dies sind einige der vielversprechendsten Experimente mit Alzheimer-Mäusen, die jemals unternommen wurden und die gezeigt haben, dass Koffein die Menge von Aß im Blut schnell verringert. Dieser Effekt wird im Gehirn widerspiegelt und verbessert die Denkleistung“, so Potter.  „Unser Ziel ist, das Geld zu bekommen, um die therapeutischen Entdeckungen bei Mäusen in durchdachte klinische Studien umzusetzen.“

Quellen (leider noch keine Links möglich, da nicht in PubMed-Datenbank):

Tipp: Mehr über Koffein steht nicht nur in diesem sehr ordentlichen Wikipedia-Artikel, sondern auch in fast 100 Sachbüchern, die es bei meinem Werbe-Partner Amazon zu kaufen gibt.

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