Nervenzellen vermehrt

Forschern der amerikanischen John-Hopkins-Universität in Baltimore ist es gelungen, menschliche Nervenzellen (Neuronen) über einen Zeitraum von inzwischen bereits 19 Monaten in Kulturschalen am Leben zu erhalten. Die Zellen waren bei der Operation eines 18 Monate alten Mädchens gewonnen worden, das an einer Hirnkrankheit litt, der Megalenzephalie, bei der es zu fortlaufenden Teilungen unreifer Nervenzellen kommt.

Menschliche Nervenzellen überlebten in Kultur bisher nur kurze Zeiträume, was das Studium dieser Bausteine unseres Gehirns enorm erschwerte. Erstaunlicherweise gelang es den Forschern jetzt erstmals auch, die isolierten Neuronen zur Vermehrung anzuregen.

Beim Menschen sind alle Nervenzellen schon bei der Geburt vorhanden und teilen sich danach nie wieder. Eine Ausnahme bilden nur krebsartig entartete Neuronen, deren Untersuchung aber nur begrenzte Rückschlüsse auf die Funktion gesunder Nervenzellen zulässt. Die Arbeitsgruppe um Solomon Snyder beobachtete eine Verdoppelung ihrer Neuronen etwa alle drei Tage, wobei es gelang, diese Teilungszeit durch die Zugabe verschiedener biologischer Signalmoleküle zu beeinflussen.

Eine Reihe von Eiweißen, die nur in Nervenzellen vorkommen, konnten von den Forschern nachgewiesen werden. Außerdem entdeckten die Wissenschaftler in ihrer Zelllinie gleich fünf Botenstoffe (Neurotransmitter), die für die Weiterleitung von Nervenimpulsen zwischen einzelnen Zellen verantwortlich sind. Von dieser Zelllinie versprechen sich die Forscher in Zukunft neue Einblicke in die Arbeitsweise der Neuronen aus dem menschlichen Zentralnervensystem.

(erschienen in der WELT am 19. Mai 1990. Letzte Aktualisierung 8. März 2017)

Originalliteratur: Ronnett GV, Hester LD, Nye JS, Connors K, Snyder SH. Human cortical neuronal cell line: establishment from a patient with unilateral megalencephaly. Science. 1990 May 4;248(4955):603-5

Was ist daraus geworden? Solomon Snyder war schon damals kein Unbekannter, inzwischen wurde er mit Preisen überhäuft und zählt zu den Berühmtheiten seines Faches. Die beschriebene Arbeit wurde mindestens 140 Mal in den Veröffentlichungen anderer Forscher zitiert, und laut Google Scholar bringt Snyder es mit seinem Gesamtwerk mittlerweile auf mehr als 200000 Zitierungen (!) Einen Großteil unseres Wissens in den Neurowissenschaften verdanken wir Untersuchungen von Zellkulturen, auch wenn diese natürlich nicht alle Fragen beantworten können. Richtig zu stellen wäre noch mein Satz „Beim Menschen sind alle Nervenzellen schon bei der Geburt vorhanden und teilen sich danach nie wieder.“ Der fand sich damals so in jedem Lehrbuch, gilt aber heute nicht mehr.

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