In der Welt der elektrischen Düfte

Elektrische Düfte durchziehen das Labor von Garry Lynch an der University of California in lrvine bei Los Angeles. Elektrische Düfte? Dr. Ursula Stäubli, die vor Jahren aus der Schweiz hierhergekommen ist, um den Geheimnissen des Lernens auf die Schliche zu kommen, muß etwas weiter ausholen.

Bei trainierten Ratten war es ihr gelungen, die Erinnerung an einen gelernten Geruch wieder wachzurufen; und zwar indem sie mit einer feinen Elektrode im Gehirn der Tiere an bestimmten Stellen einen winzig kleinen Strom anlegte. Dies ist möglich, weil die Hirnstrukturen, die an der Geruchserkennung beteiligt sind, schon recht genau kartiert sind.

Der Geruch war ursprünglich in fast schon klassischen Versuchen erlernt worden: Eine Ratte, die in einem Labyrinth sitzt, hat die Wahl zwischen zwei Düften. Geht sie dem einen nach – Rosenwasser etwa -, so erhält sie als Belohnung am Ziel einen Schluck Wasser. Verfolgt das Tier dagegen den anderen Geruch – Schweizer Käse vielleicht – so wird es am Ende des Ganges mit Lichtblitzen „geärgert“.

Innerhalb von einigen Dutzend Durchgängen lernen die Ratten zwischen den beiden Gerüchen zu unterscheiden. Auch beim nächsten oder übernächsten Geruchspaar lernen die Tiere die Lektion nach der 20 oder 30 Wiederholungen. „Wenn die Ratte dann wieder im Labyrinth sitzt; kann man beispielsweise einen unbekannten Geruchsstoff einsetzen, und einen anderen, der einmal gelernt wurde, nur elektrisch simulieren. Die Ratte wird dann dem gelernten Geruch nachgehen, obwohl der eigentlich gar nicht ‚wirklich‘ vorhanden ist.“

Bis zu 180 verschiedene Gerüche können so im Gehirn der Tiere gespeichert werden. Interessanterweise erfolgt das Lernen dabei immer schneller. Schon nach kurzer Zeit genügen den Ratten weniger als fünf Versuche, um den Unterschied zwischen „guten“ und „bösen“ Düften zu begreifen. Das einmal Gelernte bleibt dann über Monate hinweg präsent und kann sogar mit einer Elektrode abgerufen werden, wie Stäublis Experimente zeigen.

Dabei kommt der Biologin zugute, daß die betroffenen Hirnregionen verhältnismäßig einfach organisiert sind. Der „olfaktorische Kortex“, wo die Wahrnehmung des Geruchs erfolgt, enthält „nur“ vier Schichten von Nervenzellen; die Geruchsrezeptoren in der Nase leiten ihre Signale über nur eine Zwischenstation hierher. Die – verhältnismäßig – einfache Verkabelung ermöglicht es nicht nur, einzelne Neurone zu reizen; sie erlaubt es auch, anderen Fragestellungen gezielt nachzugehen.

Wie Professor Lynch bemerkt, hat man zwar eine ungefähre Vorstellung davon, wie sich bestimmte Verbindungen zwischen den beteiligten Nervenzellen beim Lernen „einschleifen“, das erklärt aber noch lange nicht alle Leistungen, die mit Lernen und Gedächtnis in Verbindung gebracht werden. So ist es beispielsweise noch völlig ungeklärt, wie Erinnerungen in eine zeitliche und räumliche Ordnung gebracht werden, wie sie ins Gedächtnis „zurückgeholt“ werden (wo waren sie denn in der Zwischenzeit?), oder wie es möglich sein kann, dem einmal Gelernten ständig neues hinzuzufügen, ohne alte Gedächtnisinhalte zu zerstören.

„Wir beanspruchen, mit unserer Arbeit eine biologische Theorie des Lernens und des Gedächtnisses zu errichten, die wohl mit den bisher existierenden psychologischen Erklärungsversuchen nicht viel gemeinsam haben wird. Da wird zum Beispiel über Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis gesprochen, aber unsere Ergebnisse und die anderer Arbeitsgruppen zeigen, daß es für diese Konzepte vielleicht gar keine biologische Entsprechung gibt. Wahrscheinlich handelt es sich stattdessen um einen kontinuierlichen Prozeß, dessen einzelne Elemente wir noch nicht lokalisieren können, weil die hier verwirklichten Vorgänge unserer Intuition zuwieder laufen.

Das ist wie in der Quantenphysik. Viele der Dinge, die man dort gefunden hat, sind in unserer alltäglichen Umgebung nicht zu beobachten. Aber wenn man das immer weiterverfolgt, dann kommt man schließlich zu einer Art Offenbarung, die die Art und Weise, wie wir die Welt sehen, völlig verändert. Wenn wir erst einmal am Ziel sind, werden wir nicht nur erkennen, wie Netzwerke von Nervenzellen miteinander arbeiten. Wir könnten ebenso eine Offenbarung erfahren. Vielleicht denken wir gar nicht, was wir denken.“

Diese tiefschürfenden Erkenntnisse hinderten Lynch allerdings nicht daran, zusammen mit dem Computerwissenschaftler Richard Granger die bei Ratten gefundenen Verschaltungsregeln in einem Computerprogramm zu simulieren. Wird dem Programm nun das elektronische Äquivalent eines neuen Duftes eingegeben, so können Lynch und Granger am Bildschirm verfolgen, wie die Software eine elektronische Antwort gibt, und immer wieder die gleichen Kunstneuronen aktiviert. Die große Überraschung kam, als das Programm begann, die Daten selbstständig in verschiedene Kategorien einzuordnen: die beiden hatten ihrer Software die Fähigkeit zur Erkenntnis mit auf den Weg gegeben…

(erschienen in „DIE WELT am 16. Oktober 1991)

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