Buchbesprechung: Valentin Braitenberg erklärt die Welt

„In diesem Buch will ich versuchen, eine Weltanschauung – meine eigene – in ihrer Gesamtheit darzustellen“, verspricht Valentin Braitenberg im Vorwort seines neuen Werkes: „Das Bild der Welt im Kopf – Eine Naturgeschichte des Geistes„. In der Wikipedia wird Braitenberg als „Hirnforscher, Kybernetiker und Schriftsteller“ vorgestellt, außerdem als ehemaliger Direktor am Max-Planck-Institut für Kybernetik in Tübingen. Weil diese Beschreibung zwar genau ist, aber doch verkürzt, und weil es ziemlich schwierig ist, diesem originellen Kopf gerecht zu werden, möchte ich lieber etwas weiter ausholen und zitiere dazu vom Einband des bereits genannten, 211 Seiten starken Bandes:

Lebt für die Lust am Verstehen: Professor Valentin Braitenberg (Foto: Schattauer Verlag)

Lebt für die Lust am Verstehen: Professor Valentin Braitenberg (Foto: Schattauer Verlag)

„Professor Dr. Dr. h. c. Valentin Braitenberg. In Bozen geboren – im selben Jahr wie die Quantenmechanik, die Königin von England und Fidel Castro. Italienisches humanistisches Gymnasium sowie Ausbildung als Geiger am Konservatorium in Bozen. Im letzten Kriegsjahr in Folge unbedachter Äußerungen Mitglied einer Strafkompanie, die mit dem Ausgraben unexplodierter Bomben in Innsbruck betraut wurde. Dann Bratschist im Tiroler Landesorchester in Innsbruck, Student der Physik, später der Medizin. Promotion und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Rom. Nach Forschungsjahren in Deutschland und in den USA Habilitation in Kybernetik und Informationstheorie… Autor von mehreren Sach- und Fachbüchern. Valentin Braitenberg lebt, mit einer New Yorkerin verheiratet, in Tübingen, Meran und Neapel.“

Zurück zum Vorwort, wo der sympathische Professor (ein Besuch in seinem Labor liegt nunmehr bald 20 Jahre zurück) erklärt, das Buch sei vor allen Dingen dem Wunsch entspungen, „das Gedankengebäude, in dem ich mich behaglich eingerichtet habe, auf seine Geschlossenheit zu überprüfen. Dahinter verbirgt sich keineswegs der Gedanke, dass meine Art, die Welt – und mich in ihr – zu sehen, etwa die bestmögliche oder gar die einzig mögliche sei. Eher schon verstehe ich sie als einen Köder, der mir Leute, die ähnlich denken, zuführen und vielleicht zu Freunden machen könnte. Doch sind mir die anderen, die gute Gründe haben, anders zu denken, genau so lieb.“ Und weiter stichelt Braitenberg: „In der sicheren Erwartung, dass mich die Philosophen nicht zitieren werden, zitiere ich sie auch nicht.“

Auf das Vorwort folgt noch ein Beipackzettel – eine kleine Gebrauchsanweisung, in der Braitenberg seinen Lesern empfiehlt, die Dosis von einem Kapitel pro Tag nicht zu überschreiten. Von der Lektüre nach den Mahlzeiten wird abgeraten. Kapitel 1 könne Widerwillen auslösen und solle dann übersprungen werde, in Kapitel 3 droht Schwindelgefühl, „besonders, wenn man sich nicht genug Zeit für Meditation nimmt“, andere Passagen könnten allergische Reaktionen hervorrufen oder Ermüdungserscheinungen, doch seien Unverträglichkeiten mit anderen Weltanschauungen bisher nicht beobachtet worden.

So weit, so gut. Wir sind gewarnt. Überfliegen noch schnell ein Vorwort des Hirnerklärers und -forschers Manfred Spitzer und stürzen uns hinein in das Lesevergnügen. Die Lust am Verstehen sei der Grund für seine Mühe gewesen, sagt Braitenberg und zieht uns wie versprochen mit erstaunlicher Leichtigkeit hinein in seine Welt. Erklärt ´mal eben, warum Mensch, Tier und Pflanze am Leben hängen und läßt durchblicken, dass diese Erklärung ihm fast schon hinreicht, um auch den Sinn des Lebens zu erklären – oder jedenfalls das, was uns alle antreibt. Im Abschnitt „Verstehen“ geht es um Wissenschaft und ihre Spielregeln, um Menschen, die geistige Kataloge erstellen und solche, die aus Sucht oder aus Faulheit nach Regeln suchen.

„Im Grunde bin ich aber in mein eigenes Denken verliebt“, entschuldigt sich Braitenberg verschmitzt und verweist wie zur Entschuldigung darauf, dass diese Lust am Verstehen, die ihn durchs Leben trägt, keine Sättigung kennt. Außerdem habe diese Lust anderen Lüsten vieles voraus: „Anders als beim Raffen von Geld und Macht oder beim Sammeln von Liebestrophäen nimmt das,was ich gewinne, wenn ich der Lust am Verstehen nachgehe, keinem Menschen etwas weg“. Es folgt eine umwerfende Utopie für die Satzung einer Republik mit zehn Regeln, darunter einer Schulpflicht bis ins Rentenalter. Am besten gefällt mir Paragraph zehn, wonach die Satzung der Republik vom Volk mit 6/7Mehrheit geändert werden kann. „Das Volk in diesem Sinne besteht aus allen Bürgern im Alter zwischen 40 und 50 Jahren, die überdurchschnittliche schulische Leistungen nachweisen können. Ausgenommen sind Geisteskranke, Millionäre, Betreiber von Fernsehanstalten, Designer, Stars im Sport- oder Showgeschäft oder Berufspolitiker.“ Ist diese Utopie ernst gemeint oder nicht? Wie kam der Mann auf diese zehn Regeln?

Zu Schade, dass an diesem Punkt, am Ende des ersten Kapitels, weitgehend Schluss ist mit lustig. Bitte Herr Braitenberg – lassen Sie uns (in ihrem nächsten Buch?) teilhaben an jenen Gedanken, die ihrer utopischen Republik zugrunde lagen. Denn von nun an ging es mit dem Lesevergnügen für mich leider bergab. Der scharfe Intellekt des Autors und seine Gabe, Zusammenhänge aufzuzeigen, blitzt zwar immer wieder auf und auch im zweiten Kapitel – dem Blick nach innen – komme ich nicht umhin, immer wieder zustimmend-anerkennend-überrascht-erfreut zu nicken, und meine Notizen an den Rand zu kritzeln.

Vielleicht liegt es an meinem Beruf als Wissenschaftsjournalist, vielleicht an meiner Spezialisierung auf die Hirnforschung, jedenfalls erschienen mir restlichen Kapitel weitaus weniger spannend und einleuchtend. Zwar sind auch die Meditationen über die physikalische Welt sowie über die Entstehung und Vermehrung von Lebewesen durchaus lesenswert und durchzogenen von originellen Gedanken und Erläuterungen. Spätestens wenn Braitenberg jedoch zu seinem eigentlichen Spezialgebiet kommt, dem Gehirn als Ebenbild der Welt, seinem Gebrauch und dem darin verankerten Sinn für Ästhetik, hätte ich mir etwas mehr Zurückhaltung bei der Erläuterung der Anatomie und Physiologie unseres Denkorgans gewünscht.  In seinem Beipackzettel hatte Braitenberg zwar fairerweise vor Emüdungserscheinungen bei diesen Kapiteln gewarnt. Dennoch erlaube ich mir zu sagen: Weniger wäre hier mehr gewesen.

Hier konnte Braitenberg, der wohl an die vierzig Jahre lang Hirnschnitte durch das Mikroskop angeschaut hat, sich weniger gut in den Leser hinein versetzen. Dem Buch schadet es jedenfalls, dass nach dem furiosen Auftakt peu a peu der Anteil an Erklärungsbedürftigem zu- und die Spannung dadurch abnimmt. Wer wie bei einem Kriminalroman auf den letzten Seiten eine Auflösung erwartet, die den Leser für seine Geduld belohnt, muss sich auf eine Enttäuschung einstellen. Wer sich von dieser  Aussicht nicht abschrecken läßt, wird jedoch auch jenseits des dritten Kapitels noch einigen Rosinen finden, die der Mühe wert sind. Mit dieser kleinen Einschränkung möchte ich mich dem Urteil Manfred Spitzers anschließen: Die cartesianischen Meditationen á la Braitenberg geraten jedem denkenden Menschen zu einem ganz privaten Vergnügen der besonderen Art.

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